Ein altes Zeitungskastenschloss wurde einst von einer zu ihm hingewehten jungfrivolen Dönerserviette gefragt, was es denn hier den ganzen lieben langen Tag so mache.
"Kontemplation", antwortete das Zeitungskastenschloss.
"Was ist denn das?", wollte die fröhlich im zirkulierenden Aufwind tänzelnde Dönerserviette wissen.
"Ich beobachte", antwortete das Zeitungskastenschloss in orphisch-nachdenklichem Tonfall.
"Aha! Und was beobachtest Du?", bohrte die Dönerserviette in ihrer beschwingten locker-flockigen Art nach.
"Die Menschen", meinte das Zeitungskastenschloss traurig.
"Oha, die Menschen! Interessant. Und was beobachtest du an den Menschen?", fuhr die konversationsfreudige Dönerserviette in ihrer Befragung fort.
"Ich beobachte die Mimik ihrer Gesichter und ihr Körperspiel. Ich beobachte ihr soziales Verhalten. Ich beobachte wie sie sorgenvoll auf ihre Uhren sehen und wie sie gegenseitig versuchen, ihren Blicken auszuweichen. Ich beobachte wie sie auf ihre Schuhe starren und wie sie an ihren Mänteln zupfen," antwortete das Zeitungskastenschloss.
Die Dönerserviette hielt Nachdenken simulierend ganz kurz inne, ergriff aber sogleich wieder das Wort. "Und sonst nichts?! Aber was tun sie denn so den ganzen Tag, die Menschen?", fragte sie weiter.
Da sagte das Zeitungskastenschloss mit betroffen-elegischem Klang in der Stimme: "Ich weiss es nicht genau. Ich sehe sie nur morgens, wenn sie auf den Bus warten und abends, wenn sie auf den Bus warten. Was dazwischen passiert, weiss ich nicht. Aber es muss bestimmt schrecklich sein."
Da wurde die Dönerserviette von einem plötzlichen Luftstoss weggeweht und das alte Zeitungskastenschloss versank wieder in seiner mitleidserfüllten sozialanthropologischen Kontemplation.
Eingestellt von Reklaw um 22:00
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